Informationen: Medikamente

Wissenschaftliche Einordnung und Antworten auf häufig gestellte Fragen

Die Aufmerksamkeit für Adipositas Medikamente, welche zur Unterstützung einer signifikanten Gewichtsreduktion eingesetzt werden können, hat in Fachkreisen sowie auch in der Öffentlichkeit und medial in den letzten Monaten erheblich zugenommen. Der Wirbel ist durchaus berechtigt, denn insbesondere die Medikamentengruppe der GLP 1 Rezeptoragonisten und die perspektivisch erhältlichen sogenannten dualen Agonisten zur einmal wöchentlichen Injektion helfen betroffenen Menschen dabei, 10 %, 15 % oder sogar 20 % ihres Körpergewichts zu reduzieren.
Hieraus ergeben sich vielerlei Fragen, deren Beantwortung auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und fachspezifischer Leitlinien wie z. B. der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) erfolgen sollte (1).

Welche Rolle spielen Medikamente bei der Behandlung von starkem Übergewicht (mit assoziierten Begleiterkrankungen) und Adipositas?

Die Grundlage für die Behandlung ist stets eine Basistherapie bestehend aus optimierter Ernährung, erhöhter körperlicher Aktivität sowie Verhaltensintervention. Wenn unter diesen Maßnahmen keine ausreichende und vor allem langfristige Gewichtsreduktion erreicht werden kann, können unterstützende Medikamente zum Einsatz kommen (1). Lange Zeit spielten Medikamente in der Behandlung von Adipositas eine nur untergeordnete Rolle, da keine signifikante Wirkung erreicht wurde. Dies hat sich nun geändert und wir sind erstmalig in der Lage hoch wirksame Medikamente mit einem günstigen Risiko-Nutzen-Profil anzuwenden. Die Medikamentengruppe stammt ursprünglich aus der Diabetesbehandlung.

Welche Medikamente sind für die Indikation der Gewichtsreduktion zugelassen?
Wo liegen die Unterschiede?

Aktuell sind in Deutschland zur Gewichtsreduktion die verschreibungspflichtigen Medikamente Orlistat und der GLP 1 Rezeptoragonist Liraglutid 3,0mg (Saxenda) verfügbar (2,3). Mitte Juli 2023 ist Semaglutid in einer Dosis von bis zu 2,4 mg (Wegovy) in den deutschen Markt eingetreten. Die Zulassung erfolgte bereits vor längerer Zeit.
Arzneimittel mit zentral stimulierender Wirkung aus der Gruppe der Psychopharmaka sind auf dem deutschen Markt nicht mehr verfügbar und aufgrund eines eher ungünstigen Risiko-Nutzen-Profils auch nicht mehr zeitgemäß.
Hinsichtlich der zu erwartenden Wirkung und aus wissenschaftlicher Sicht ist derzeit Semaglutid in einer Dosis von 2,4 mg erste Wahl (4,5,6).

Mit Tirzepatid ist ein weiterer sogenannter dualer Agonist (GLP 1 und GIP) in den USA bereits zugelassen und verfügbar und erreichte in den bislang vorliegenden Studien eine noch stärkere Gewichtsreduktion als Semaglutid (7,8). In der EU ist Tirzepatid zunächst nur für die Indikation Typ 2 Diabetes zugelassen und auf dem Markt noch nicht verfügbar (9). Perspektivisch ist es ein realistisches Szenario, dass auch Tirzepatid in der EU die Zulassung für die Behandlung der Adipositas erhält.

Wie wirkt Semaglutid?

Semaglutid gehört zu den sogenannten GLP 1 Rezeptoragonisten (oder auch Inkretin Mimetika). Hierbei handelt es sich um ein Darmhormon, welches der Körper normalerweise auch selbst produziert. In dem Medikament ist dieses Darmhormon nachgebildet und bewirkt unter anderem über eine deutlich verzögerte Magenentleerung ein verstärktes Sättigungsgefühl und ein herabgesetztes Hungergefühl. Mittlerweile ist auch eine direkte unter anderem antientzündliche zentrale Wirkung in übergeordneten Hirnzentren, welche Verdauungsprozesse steuern, nachgewiesen. Auch wird die körpereigene Insulinwirkung optimiert, sodass auch beispielsweise eine Insulinresistenz deutlich abgemildert wird. Bei einer idealen Kombination mit der oben genannten Basistherapie ist unter der Medikation mit Simagel Typ 2,4 mg (einmal wöchentlich) eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von etwa 15 – 17 % vom Ausgangsgewicht erreicht worden (4). Jeder Dritte erreichte sogar eine Gewichtsreduktion von mindestens 20 % (4). Dies sind deutlich größere Effekte als mit älteren Wirkstoffen wie Orlistat und Liraglutid (siehe oben) erreicht worden (10, 11).

Welche Nebenwirkungen sind unter Semaglutid möglich?

Um eine optimale Verträglichkeit zu gewährleisten, wird Semaglutid schrittweise eindosiert. Dies bedeutet, dass es einen Pen mit einer Einstiegsdosis (0,25 mg/Woche) gibt, welche für die ersten 4 Wochen verwendet wird. Im Anschluss erfolgt eine weitere Steigerung auf 0,5 mg, nach weiteren 4 Wochen auf 1,0 mg, nach weiteren 4 Wochen auf 1,7 mg und schließlich nach weiteren 4 Wochen auf bis zu 2,4 mg. Die häufigsten Nebenwirkungen sind gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Stuhlunregelmäßigkeiten bis hin zu Durchfall oder auch Kopfschmerzen (4). Im Rahmen der Zulassungsstudie traten bei etwa 7 % der Anwender die genannten Nebenwirkungen einzeln oder in Kombination auf (12). In den allermeisten Fällen bezieht sich dies nur auf die ersten 2-8 Wochen der Anwendung. Bei Berücksichtigung bestimmter Verhaltensweisen, welche sich auf Portionsgröße und Auswahl der Speisen beziehen, lässt sich die Verträglichkeit nochmals deutlich verbessern.

Ausschlusskriterien sind Schwangerschaft oder Kinderwunsch innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Therapie, eine starke Einschränkung der Nierenfunktion, eine hochgradige Lebererkrankung und eine stattgehabte Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse) in der Vorgeschichte. Einige Studiendaten haben in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass es unter GLP 1 Rezeptor Analoga eventuell zu einer Häufung eines bestimmten Schilddrüsenkrebs (medulläres Schilddrüsenkarzinom) kommen kann (13). Dieses tritt meist im Rahmen einer sogenannten multiplen endokrinen Neoplasie (MEN – genetische Erkrankung) auf. Es werden derzeit und auch zukünftig weitere Daten hinsichtlich dieses zwar unwahrscheinlichen aber dennoch möglichen Zusammenhangs untersucht. Bis es hier eine konsistente Datenlage gibt, besteht der Warnhinweis, bei Patientinnen und Patienten mit MEN in der Vorgeschichte oder in der Familienanamnese auf eine Therapie mit GLP 1 Rezeptor Analoga möglichst zu verzichten.

Für welche Menschen sind Medikamente zur Gewichtsreduktion geeignet und für wen nicht?

In der öffentlichen Berichterstattung und insbesondere den sozialen Medien wird teilweise vermittelt, dass die beschriebenen neueren Medikamente unkritisch einzusetzende „Abnehm-Spritzen“ für die allgemeine Bevölkerung sind. In der Tat aber handelt es sich um verschreibungspflichtige Medikamente, welche nur ergänzend zu den oben beschriebenen Basismaßnahmen bei Übergewicht mit assoziierten Erkrankungen bzw. bei Adipositas und unter ärztlicher Betreuung eingesetzt werden sollten.
Auch wenn beispielsweise Semaglutid in der Regel gut verträglich ist, müssen vor erstmaligem Gebrauch etwaige Kontraindikationen im ärztlichen Gespräch und anhand von bestimmten Laborparametern ausgeschlossen werden.
Von einer unkritischen Anwendung außerhalb des Indikationsbereiches und ohne ärztliche Kontrolle ist dringend abzuraten.

Müssen behandelte Menschen die Medikation dauerhaft nutzen?

Laut der Fachinformation seitens des Herstellers und auch unter Berücksichtigung der bislang vorliegenden Studiendaten kommt es nach Absetzen der Medikation wieder zu einer Gewichtszunahme. Somit ist formal für die meisten Menschen eine dauerhafte Einnahme nötig, um das reduzierte Körpergewicht auch zu halten (14). Die klinische Erfahrung hat aber auch gezeigt, dass ein signifikanter Gewichtsverlust und insbesondere die unter medikamentöser Unterstützung effektiver umgesetzten Lebensstilmaßnahmen auch nach Beendigung der Medikation unter Beibehaltung des optimierten Verhaltens ein grundsätzliches erhalten des reduzierten Gewichts deutlich realistischer ist. Ein gangbarer Zwischenweg könnte auch eine sogenannte Intervall Therapie sein.

Wie teuer ist die Behandlung mit Semaglutid und was zahlt die Krankenkasse?

Die Listenpreise des Herstellers liegen zwischen gut 170 € pro Monat für die Dosisbereiche 0,25 mg - 1,0 mg über 230 € pro Monat für die Dosis 1,7 mg und gut 300 € pro Monat für die Maximaldosis 2,4 mg.
Mit einer Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu rechnen. Das 5. Sozialgesetzbuch schließt Arzneimittel zur Regulierung des Körpergewichts und zur Zügelung des Appetits von der Kostenerstattung durch die Krankenkassen aus. (15) Laut aktuellen Angaben der privaten Krankenversicherung ist eine Erstattung bei indikationsgerechter Verschreibung grundsätzlich möglich. (16)

Quellen

(1) Vgl. Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V., Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e.V. (Hrsg.). Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur „Prävention und Therapie der Adipositas“. Version 2.0 (April 2014); www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/050-001.html (in Überarbeitung)
(2) https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/alli
(3)  https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/saxenda
(4) Wadden TA et al. N Engl J Med (2021) 384: 989-1002
(5) Arastu N et al. Int J Clin Pharmacol (2022) 44: 852-859
(6) Rubino D et al. JAMA (2021) 325:1414-1425
(7) Jastreboff AM et al. NEJM (2022) 387: 205-216
(8) Frías JP et al. N Engl J Med (2021) 385: 503-515
(9) https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/mounjaro
(10) Li Z et al. Ann Intern Med (2005) 142: 532-546
(11) Pi-Sunyer FX et al. New Engl J Med (2015) 373: 11-22
(12) https://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03574597
(13) https://www.tagesspiegel.de/wissen/warnung-vor-diabetes-praparaten-ema-berichtet-von-schwerwiegenden-nebenwirkungen-des-wirkstoffes-semaglutid-10030396.html
(14) Wilding JPH et al. Diabetes Obes Metab. 2022 Aug;24(8):1553-156
(15) Vgl. § 34 SGB 5 – https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__34.html
(16) https://www.privat-patienten.de/arzneien-und-hilfsmittel/wird-die-neue-abnehmspritze-wegovy-von-meiner-pkv-erstattet/

Sei dabei wenn es losgeht!

Mit unserem Newsletter bleibst du informiert und hast die Chance einer der ersten Teilnehmer*innen zu sein.
Anmeldung